Somatoforme Störungen
Eine somatoforme Störung ist eine psychische Störung, die aufgrund der körperlichen Beschwerden eine organische Erkrankung vermuten lässt, für die jedoch keine körperlichen Ursachen zu finden sind.
Dabei stehen neben Allgemeinsymptomen wie Müdigkeit, Erschöpfung und Schmerzsymptome an vorderster Stelle, gefolgt von Herz-Kreislauf-Beschwerden, Magen-Darm-Beschwerden, sexuellen und pseudoneurologischen Symptomen. Bezeichnungen für Krankheitsbilder aus diesen Kategorien sind z. B. psychogene Störungen, funktionelle Störungen, vegetative Dystonie, allgemeines psychosomatisches Syndrom, Konversionshysterie, Briquet-Hysterie, psychische Überlagerung. Somatoforme Störungen zählen zu den psychischen Störungen mit der größten Häufigkeit: Etwa 4 bis 11 Prozent der Bevölkerung sind von solchen Störungen betroffen, Frauen häufiger als Männer.
Ursachen
Somatoforme Störungen lassen sich normalerweise nicht auf eine einzige Ursache zurückführen. Vielmehr wird ein Wechselspiel verschiedener Faktoren als Auslöser angenommen.
Es können biologische Auffälligkeiten eine Rolle spielen, wie beispielsweise bestimmte Atmungsmuster, veränderte Körperwahrnehmung nach schweren Unfällen oder Krankheiten sowie die verringerte Fähigkeit, sich körperlich an bestimmte Umweltbedingungen anzupassen.
Auch genetische Faktoren (z. B. eine verstärkte Reaktionsbereitschaft des vegetativen Nervensystems) werden diskutiert. Hierfür spricht, dass somatoforme Störungen familiär gehäuft auftreten können – vor allem bei Verwandten ersten Grades.
Zu den Risikofaktoren, die für eine somatoforme Störung als Ursachen (mit) infrage kommen, gehören auch bestimmte psychosoziale Faktoren:
- ein Teufelskreis von körperlichen Reaktionen, Angst und verstärkter Wahrnehmung körperlicher Symptome
- körperliche Beschwerden als Folge seelischer Konflikte: meist unbewusste seelische Prozesse (z. B. Angst, Wut, Ärger, Unzufriedenheit mit dem eigenen Aussehen) können sich in Körpersymptomen ausdrücken.
- Patienten mit somatoformen Störungen zeigen in ihren Biographien erhöhte Raten an allgemeinen Belastungsfaktoren wie niedriger sozioökonomischer Status, Scheidung, Verlust, Alkoholkrankheit, psychische Störung der Eltern oder eines Elternteils. Darüber hinaus liegen auch erhöhte Raten an sexueller Traumatisierung bzw. körperlichem Missbrauch vor.
Symptome
Die somatoforme Störung lässt sich anhand der Symptome in zwei Symptomgruppen unterteilen:
Erste Symptomgruppe
Diese Gruppe tritt häufiger auf als die zweite. Bei dieser somatoformen Störung zeigen sich Veränderungen, die auch objektiv feststellbar sind. Es besteht eine allgemeine vegetative Erregung, die sich in einer Vielzahl von Symptomen äußert:
- im Bereich der Atmung z. B. als Gefühl der Atemhemmung, Globussyndrom, Halsenge, Luftnot
- im Bereich des Herzkreislaufsystems z. B. Druckgefühl, Stiche, Beklemmungsgefühl in der Brust, Herzstolpern
- im Magen-Darm-Trakt (Reizmagen und Reizdarm): Übelkeit, Völlegefühl, Bauchschmerzen, Stuhlunregelmäßigkeiten
- in der Gynäkologie: chronische Unterbauchschmerzen, Schmerzen im Unterbauch mit Ausstrahlung in Leisten und Kreuzbein
- in der Urologie (Reizblase, Urethralsyndrom, Prostatadynie): Häufiges und/oder schmerzhaftes Wasserlassen, Gefühl erschwerter Miktion, Schmerzen im Unterbauch/Damm
- als somatoforme Schmerzstörung: Anhaltende Schmerzen ohne erklärenden körperlichen Befund.
Zweite Symptomgruppe
Diese umfasst subjektivere und weniger kennzeichnende Beeinträchtigungen (z. B. fließender Schmerz sowie das Gefühl, aufgebläht oder auseinandergezogen zu sein).
Ein weiteres typisches Symptom ist die anhaltende und quälende Beschäftigung der Betroffenen damit, ernsthaft krank zu sein, obwohl Ärzte dies mehrfach nicht bestätigen konnten. Daneben findet man bei Patienten mit somatoformen Störungen nicht selten andere psychische Störungen, insbesondere depressive Störungen, Angststörungen und Persönlichkeitsstörungen.
Diagnose
Die Diagnose einer somatoformen Störung beruht zunächst auf dem Ausschluss einer organischen Verursachung der beklagten Körperbeschwerden. Dazu muss aber eine psychische Diagnostik kommen, die gegenwärtige Affekte, psychische Konflikte, Aspekte der psychischen Struktur, biographische Belastungen und soziale und kulturelle Faktoren berücksichtigt. Gegebenenfalls kommen zur Diagnose auch psychologische Tests und Fragebögen zum Einsatz: Um eine somatoforme Funktionsstörung, ihren Schweregrad sowie die mit der Störung verbundenen Beeinträchtigungen einschätzen zu können, steht eine Vielzahl standardisierter Fragebögen und Checklisten zur Verfügung.
Menschen, bei denen eine somatoforme Störung vorliegt, können die Diagnose oftmals nicht akzeptieren. Es ist für sie schwer vorstellbar, dass ihre Beschwerden keine körperlichen Ursachen haben, sondern möglicherweise durch seelische Vorgänge (psychosomatisch) entstanden sein könnten. Die Art der Symptome oder das daraus folgende Verhalten beeinträchtigen bei einer somatoformen Störung das Leben im familiären oder sozialen Bereich.
Therapie
Liegt eine somatoforme Funktionsstörung vor, sollte die Therapie so früh wie möglich beginnen, um zu verhindern, dass die Störung dauerhaft bestehen bleibt. Wichtig ist dabei, dass die Betroffenen den Zusammenhang zwischen körperlichen Empfindungen und psychischen Vorgängen erkennen lernen.
Entspannungsverfahren
Wenn eine somatoforme Störung besteht, sind zur Therapie Entspannungsverfahren geeignet: Diese sollen verhindern, dass sich Beschwerden durch Angst und eine damit verbundene Erhöhung der Muskelspannung und vegetative Erregung verstärken.
Wenn Entspannungsmethoden die Anspannung vermindern, lindert dies auch die hervorgerufenen Beschwerden. Am häufigsten kommen zur Therapie Autogenes Training, progressive Muskelentspannung und Biofeedback zum Einsatz. Allerdings ist nicht jede Entspannungsmethode auch für jeden Betroffenen geeignet.
Operantes Verhaltenstraining
Das Verhaltenstraining ist besonders dann geeignet, wenn der Patient durch die somatoforme Funktionsstörung ein ausgeprägtes Schonverhalten entwickelt hat. Bei diesem Training lernt man, wieder aktiver am Leben teilzunehmen und das Schonverhalten, das Beschwerden fördert, abzubauen. Es ist ratsam, den Partner oder die Partnerin – wenn möglich – in die Therapie miteinzubeziehen.
Zum Verhaltenstraining gehören folgende Elemente: systematische Verhaltensübungen (Einteilung täglicher Aktivitäten), Selbstsicherheitstraining, Übungen mit Bezugspersonen, die häufig unbewusst ein Verhalten fördern, das die Beschwerden verstärkt (z. B. durch das Abnehmen von Arbeit), unabhängig von den Beschwerden erfolgende körperliche Aktivität und Medikamenteneinnahme.
Durch eine psychotherapeutische Behandlung, auch durch Gruppentherapie, lassen sich die wesentlichen Symptome von somatoformen Störungen lindern. Ist die somatoforme Störung mit Erkrankungen wie Depression und Angststörung verbunden, ist eine psychotherapeutische Behandlung ebenfalls hilfreich. Für die individuelle Prognose ist jedoch die Krankheitsdauer entscheidend.
Verlauf
Eine somatoforme Funktionsstörung zeigt häufig einen chronischen Verlauf. Hauptgrund dafür ist, dass oft Jahre vergehen, bis es gelingt, die Störung richtig zu diagnostizieren und zu behandeln. Da die somatoforme autonome Funktionsstörung mit Beschwerden verbunden ist, die körperliche Ursachen vermuten lassen, stehen meist über Jahre körperliche (somatische) Untersuchungen und Behandlungsversuche im Vordergrund. Oft ist im weiteren Verlauf häufig ein Wechsel der vorhandenen Symptome zu beobachten. So können beispielsweise, nachdem die Betroffenen zunächst über Herzbeschwerden berichteten, später Verdauungsprobleme in den Vordergrund treten.
Komplikationen
Somatoforme Funktionsstörungen sind durch ein komplexes Zusammenwirken emotionaler, gedanklich bewertender und körperlicher Faktoren bestimmt. Dabei steht im Vordergrund, dass die Betroffenen ihre Aufmerksamkeit übermäßig auf harmlose oder unbedenkliche körperliche Missempfindungen lenken. Sie missdeuten diese Körperempfindungen und sehen sie als bedrohlich an. Es entstehen Ängste, die wiederum zu körperlichen Reaktionen wie verringerte Durchblutung in den Händen führen. Die Betroffenen nehmen auch diese Veränderung wahr und entwickeln neue körperliche Symptome.
Die durch die somatoforme Funktionsstörung ausgelösten Ängste um die körperliche Gesundheit führen auch zu einer übermäßigen Inanspruchnahme des Gesundheitssystems. Aus Angst vor der vermuteten schweren Krankheit erfolgen wiederholt Besuche bei verschiedenen Ärzten und diagnostische Untersuchungen bis hin zu Operationen, immer auf der Suche nach einer richtigen Diagnose.
Schonverhalten und unkontrollierte Medikamenteneinnahme können außerdem die somatoforme autonome Funktionsstörung festigen. Aber auch positive Konsequenzen der angegebenen Beschwerden im sozialen Umfeld, wie Rücksichtnahme im Beruf oder in der Familie, können dazu beitragen, dass die somatoforme Funktionsstörung weiter besteht.
Vorbeugen
Wenn Sie möglicherweise zu den Betroffenen zählen, sollten Sie sich frühzeitig über somatoforme autonome Funktionsstörungen informieren – vor allem darüber, dass Ihren Beschwerden keine körperlichen, sondern psychische Ursachen zugrunde liegen. Dies kann dazu beitragen, dass frühzeitig eine geeignete Behandlung erfolgt. Ein früher Therapiebeginn kann verhindern, dass die somatoforme Funktionsstörung dauerhaft bestehen bleibt.